Umgestürztes Boot – diesmal aber zum Glück der Touristen
Von Raimundas Binkis, Birzai
Den neuen Moden darf der Staat und die Gesellschaft Litauens auch nicht entkommen. Derzeit ist es modisch geworden, neue Aussichtstürme zu bauen – man kann im Internet mehr als 20 solche Objekte finden, manche sind älter, manche neuer.
Einer der letzten solcher neuen Türme in Litauen ist ein Turm in der Birzaier Region, nämlich im Dorf Kirkilai, etwa 8 km von Biržai entfernt. Wenn man mit dem Auto oder Motorrad unterwegs ist, sollte man die Richtung Kirkilai Dorf aus Birzai wählen, dann, schon in dem Dorf, am Anfang davon, steht ein braunes Schild, das nach rechts, auf die Kirkilaier Seen (Seenplatte) zeigt.
Richtungszeiger (Karstseen)
Dann, nach einem Kilometer Schotterpiste – steht man neben ihm. An einem Parkplatz mit Informationstafel und auch Biotoiletten.
Der Parkplatz vom Turm gesehen
Der Aussichtsturm
Der Aussichtsturm ist in Form eines auf das Ende gestellten Kanus gebaut worden – sieht ganz originell aus. Ich bin nicht sicher, ob es irgendwo etwas ähnliches gibt. Die Gesamthöhe des Turmes ist 31,7 Meter. Wenn man nach oben durch die metallische Treppe heraufgeklettert hat , findet man eine Aussichtsplattform, wovon man eine wunderbare Aussicht auf die Umgebung hat. IAuf dem Turm bemerkt man sofort, wie tatsächlich grün das litauisches Land ist – überall Wälder, verschiedene Pflanzen, und nur hier und da irgendwo scheint es auch mehrere kleine Dörfchen oder einzelne Häuser zu geben.
Vielleicht das größte umgestürzte Kanu, das man finden kann
Im Zentrum der Idee um dem Turm und des Aussichtspunktes stehen die wunderschönen Kirkilaier Seen. Die Seen haben karstische (1) Herkunft, sind ganz interessant für Geologen und Botaniker (es wachsen darin z.B. sogenannte purpurfarbige Schwefelbakterien, die, soweit der Autor weiss, in Europa nur noch irgendwo in Italien zu finden sind) und sehen ohne Zweifel schön aus– wie aus Land- als auch aus der Vogelperspektive. Nicht vergleichbar natürlich mit dem Bodensee – aber der Große und die Kleinen sind eventuell nicht miteinander vergleichbare Dinge.
Der Blick von oben
Mitte links wurden die Bilder vom Angeln gemacht, als ein Reh durch den See schwamm
Die berühmten Kirkilaier Karstseen (Blick aus dem Turm)
Der Pfad um die Seen herum: man kann so kleine Sümpfe überqueren
Also, wer möchte die Phänomena (Seen als wichtigstes Objekt) aus näherer Ansicht erfahren, der kann leicht in Biržai ankommen, und zwischen anderen schönen Sehenswürdigkeiten auch den neuen Kirkilaier Turm zu besichtigen – um so mehr, als daß auch jeder Deutsche sicher sein kann, als EU Steuerzahler einen kleinen Teil davon beigebracht zu haben (kostete der Turm etwa 0,5 Mio Euro aus dem EU Haushalt) ;-) .
Fotos © Raimundas Binkis
1-Karstseen entstehen durch Einbruch unterirdischer Höhlen. Unter den Seen befinden sich Gesteinsschichten wie Gips, Kalk und Dolomit, die sich mit der Zeit durch Wasserausspülung lösen, Hohlräume bilden und irgendwann einstürzen.
Im Raum Birzai gibt es sehr viele solcher Höhlen und Karstseen. Auch Häuser wurden durch den Karstuntergrund geschädigt.
Schwarzer Burgberg
Auf dem Weg von Birzai nach Skaistkalne (Schönberg), weisen Holzschilder auf Sehenswürdigkeiten am Wegesrand hin. Hier liegt auch das Torfabbaugebiet mit der grossen Biberpopulation, das hier auf birzai.de schon lange beschrieben wurde.
Das Hinweisschild: Juodeliu pilia kalnas (Schwarzer Burgberg) blieb jahrelang unbeachtet und ich bin dem Hinweis erst im März 2015 nachgegangen. Im März waren die Auswirkungen des Winters noch überall zu sehen, deshalb sind die Bilder nicht so schön.
Von Birzai kommend, weist das Holzschild-
nach rechts in den Wald. Mein Tipp: gehen sie auf der Strasse bis zum Ende des Waldes und dann zwischen Wald und einer Bauernkate von der Strasse weg auf diese Baumgruppe zu.
Hinter den Bäumen läuft man ein Stück durch den Wald (mehr links halten!) und man erreicht den putzigen Burgberg.
Eifrige Leser von Birzai.de oder alles-ueber-litauen.de wissen, dass sich die Litauer früher mit solchen Burgbergen verteidigt haben.
Dieser kleine Hügel ist selbst in Birzai total unbekannt. Ich habe niemanden getroffen, der ihn bewusst besucht hat. Auch im Internet gibt es kaum Informationen. Der Burgberg soll 1000 Jahre alt sein und sein zweiter Name "Velniakalniu" (Teufelsberg) deutet schon darauf hin, dass er vermutlich früher als heidnische Opferstelle gedient hat.
Um das Bergchen gab es früher einen Wassergraben, den man heute nur noch erahnen kann.
Das Berglein hat die Masse 15x12 Meter und eine Höhe von etwa 5 Metern
Trotzdem fand ich den Ort wunderschön und er erinnerte ein bischen an den Burgberg in Merkine, auch wenn der Vergleich (aufgrund der Dimension und der geschichtlichen Bedeutung) natürlich hinkt.
Der Burgberg liegt an einer Schleife des Flüßchen Apascia, welches der Ablauf des Sirvenos Sees in Birzai ist, einst als Verteidigung der Birzaier Burg angelegt. Man sieht, hier ging es um die Verteidigung gegen Norden.
Mit ein bischen guten Willen, kann man den Burgberg links von der Biegung sehen.
März 2015 Burgberg mit Apascia
Herrenhäuser um Birzai
Von Raimundas Binkis
In Mantagailiskis, auf dem Weg von Birzai zum Bibergebiet in Uzubaliai, gibt es ein zerfallenes altes Herrenhaus.
Wir haben den Besuch dort als sehr schön empfunden. Angeblich hat die Rinkuskiai Brauerei vor, den Komplex zu renovieren.
Wirtschaftsgebäude
Alter Brunnen
Auch hier gibts Karstlöcher (siehe hier)
Stallgebäude
Sehr schöne Details, hoffentlich wird der Verfall aufgehalten
Interessante Säulen
Die linke Seite vom Haus
So kann man auch abstützen
Alte Pferdeställe
Stallungen
Ostern 2011
Durch einen Blitzeinschlag (?) gespalten
Im Sommer 2012 waren Instandhaltungsarbeiten im Gange.
Wie man auf den Fotos sehen kann, ist das Herrenhaus in schlechtem Zustand. Wenn sie zu den Bibern nach Uzubaliai fahren, kommen sie sowieso hier vorbei.
Man biegt links vom See in die Salociu Gatve ein. Nach 700 m auf der rechten Seite ist die Rinkuskiai Brauerei und das Alaus Kelia Restaurant. 2600 m nach dem Abbiegen kommen Geologine Ola und die Lapes Ola (also zwei Karstlöcher). Und nach genau 3300 m geht nach rechts eine Strasse zum Mantagailiskis Herrenhaus. Davor ist ein Parkplatz ausgeschildert.
Wir finden, ein Spaziergang lohnt sich.
Birzai und seine Juden
Die kleine Stadt Birzai hatte im Jahr 1897 4413 Einwohner, wovon 57 % Juden waren (davon mehr unter "jüdische Geschichte Birzais").
Der alte jüdische Friedhof in Birzai ist der größte in ganz Litauen.
Im "Sela Heimatmuseum", beheimatet in der Birzaier Burg, erinnert eine einzige kleine Vitrine an die jüdische Kultur Birzais.
In der Abteilung über den Hitler-Stalin-Pakt, der sowjetischen Besatzung und den Deportationen der Jahre 1941 nach Sibirien, gibt es ein Foto von Juden , die die Regierung Paleckis und den Pakt mit der Sowjetunion bejubeln.
Ich versuche die "Rolle" der Juden in den Jahren 1940 und 1941 zu untersuchen und würde mich über Anregungen und Unterstützung freuen.
Am 8. August 1941 kam das Aus für die Litauer jüdischen Glaubens. Die deutschen Einsatzkommandos ließen mit Hilfe litauischer Freiwilliger (oft Partisanen oder Weißarmbindler vom Aufstand gegen die sowjetische Besatzung) die Juden von der Stadt in den Astravas-Wald nordöstlich vom Sirvenos-See laufen. Zuvor hatten jüdische Männer Gruben ausheben müssen.
In der United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos steht zu den Morden in Birzai :
"On July 26, 1941 the town authorities ordered all Jews to move into the ghetto, for which purpose they have designated several small streets in the vicinity of the synagogue. Any Lithuanians living in this area were also forced to move out, exchanging houses with Jews who moved in. Barbed wire surrounded the area and armed Lithuanian policemen guarded it. A lack of resources caused widespread hunger in the ghetto. The birzai ghetto existed only about two weeks. On August 4, 1941, a group of about 500 Jewish men were sent out of the ghetto with spades, while the women, children and elderly were locked up in the synagogue, guarded by Lithuanian auxiliary police (wearing white armbands). The men dug a ditch more than 30 meters longand 2 meters wide, which took them three day. Then on August 8, German forces of Einsatzkommando 3, assisted by Lithuanian auxiliaries, surrounded the ghetto. The Jews were told that they would be send to Palestine and were ordered to assemble. The men were marched out to the ditches first and were beaten and cursed on the way. Dr. Levin, a local phycician, refused to go and was shot on the spot. They were taken to the ditches in the Astravas Forest, about 3 kilometers outside the town.
About one hour later, the women and children were marched off in the same dicection, weaving good-bye to local aquaintances. At this time the sound of shooting could allready be heard in the distance. Jews from the hospital were taken to the killing site on trucks. At the ditch the Jews were made to undress and then shot in the graves in groups of 10, piled up on top of each other. Some of the Jews had their gold teeth ripped out of their mouths. The murderers drank heavily during the Aktion [sic].
In total about 2.400 Jews (720 men, 780 women and 900 children) were murdered. Several days later about 90 Lithuanians were shot into the same mass grave for alleged collaboration with the Soviets. After the Aktion [sic], local Lithuanians looted property from the empty ghetto, handing only the most valuable items on to the Germans. In September 1941, Einsatzgruppe A reported that Kreis Birsen was "cleansed of Jews" (judenrein).
One Jewish girl, Helena Nosowa, is known to have escaped from the murder Aktion and survived with the aid of local Lithuanians until the arrival of the Red Army. After the war, Jewish survivors and returnees to Birzai placed a memorial at the site of the mass killings."
Sources
Information on the fate of the Jews of Birzai during the Holocaust can be found in the following publications: (z.B. Henry Tabakin: Only Two Remained (1973) und viele weitere Quellen)
Die einzigen Überlebenden dieser Zeit waren die von den Sowjets (bei den Massendeportationen) im Jahre 1940 nach Sibirien Deportierten und Juden, die in der russischen Armee dienten. Über das Leben von Šeftel Melamed später mehr.
Am Ort des Massakers ist heute eine Gedenkstätte
Šeftel Melamed, seine Tochter Leta Vainoriene und Antanas Seibutis
Bürgermeisterin I. Varziene, Vertreter der deutschen Botschaft in Vilnius und Birzaier Schüler
Heute ist dort eine Gedenkstätte. Im Sommer 2011, als eine Gruppe engagierter Christen aus Deutschland den jüdischen Friedhof in Ordnung brachten, wurde dort im Beisein von Sheftel Melamed, der Birzaier Bürgermeisterin Varziene und Vertretern der deutschen Botschaft ein Kranz niedergelegt.
Unvollständige Liste der Mörder am Massaker in Birzai und Umgebung:
(Quelle der Namen: Josef Rosin oder hier gibts weitere Listen)
Den kompletten Text über die Zeit der Juden in Birzai lesen sie auf deutsch hier
PASVALYS
Pasvalys ist eine kleine Stadt mit etwa 7800 Einwohnern im nördlichen Litauen, direkt an der Via Baltica gelegen.
Von Kaunas oder Vilnius kommend, kommt kurz nach Pasvalys die Abzweigung von der Via Baltica nach Birzai und weiter auf dem Weg nach Riga kann man sich kurz nach Pasvalys in gemütlicher Atmosphäre im Restaurant 19. km (Raubonys Oak) noch einmal stärken, bevor man die lettische Grenze passiert. Hier gibt es einen rustikalen Spielplatz, einen kleinen Zoo und einen Bären. (Ein alter Braunbär aus dem Zoo in Kaunas). Litauisches Essen, rustikal gemütlich, akzeptable Preise.
Hofeinfahrt zur Wassermühle
In Pasvalys ist eine sehr schöne Wassermühle aus dem Jahre 1769, deren Besuch für Durchreisende durchaus lohnenswert ist. Sie erinnert ein bisschen an die Wassermühle "Belmontas" in Vilnius.
Außerdem gibt es hier ein öffentliches Schwimmbad sowie eine Anbindung an die überregionalen Busse.
Busbahnhof Pasvalys, Vilniaus Gatve 39
Schwimmbad, Taikos Gatve 22, Pasvalys
Die Wassermühle, Balsiu Malunas genannt, weil im Dorf Balsiu gelegen, wurde von ihrem Besitzer auf typisch litauische Weise hergerichtet und dient heute als Lokal zum Feiern von Hochzeiten. In sechs Zimmern gibt es für die Hochzeitsgäste Schlafgelegenheiten.
Die Mühle liegt am Flüsschen Svalia. Es gibt sogar kleine Stromschnellen.
Entscheiden Sie selbst anhand der Bilder, ob sich ein Besuch für Sie lohnt.
Sammelsurium von alten litauischen Gerätschaften.
Neben diesen landwirtschaftlichen Ausstellungsstücken liebt der Malunas Besitzer imposante Autos
Russischer LKW
Alte landwirtschaftliche Maschinen
Alte landwirtschaftliche Maschinen 2
Rosenkranz Maschinen Klick mich!
Mühlsteine als Wegbegrenzung
Alte Kutschen an alten Bäumen. Geschmack haben sie, die Litauer!
Brücke über die Svalia
Holzbrücke über die Svalia
Nach alter Tradition muss der Bräutigam die Braut über sieben Brücken tragen.
Sieht aus wie ein Lokal, war aber bei unserem Besuch geschlossen.
Fluss Svalia
Scheune
Alter Raupenschlepper
Bild aus Zeiten der "litauisch-sowjetischen Freundschaft"
Adresse der Wassermühle:
„Balsių malūnas“ (8 451) 50345, Mobil (8 612) 78113
Balsių k., Pasvalio, Pasvalio r.
Pasvalys TIC
P. Avižonio g. 6, Pasvalys
LT – 39149
Telefon: 8- 451 34096 (Aus Deutschland 0037045134096)
El. paštas:
Im Juli 2012 unternahm eine Gruppe kulturhistorisch interessierter Birzaier Bürger unter Leitung der stellvertetenden Leiterin des Sela Museums Edita Lansbergienė und des wissenschaftlichen Mitarbeiters Antanas Seibutis, eine Rundreise zu Herrenhäusern der Familie Komorowski in die Umgebung von Birzai (Aukstaitija, Nordost Litauen).
Von Raimundas Binkis.
KOMOROWSKIS ERBE IM BIRZAIER GEBIET
14. Juli, Samstag. Ein schöner Tag für ein Stück Wanderung in der Umgebung von Birzai, besonders wenn man mit einem Bus unterwegs ist und sich so auf das, was man sieht, konzentrieren kann. Auch eine nette Gruppe von Gleichgesinnten mit zwei noch netteren Reiseführern Edita und Antanas (Seibutis, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sela Museum Birzai). Diese Frage - was wird zu sehen sein – hielt mich auf dem Weg in einer Art der angenehmen Spannung.
Das Thema der Reise war: „ Die Herrenhäuser von Komorowskis in der Umgebung von Papilys“. Die Familie Komorowski besassen im Zeitraum etwa ab dem 19. Jahrhundert bis zum II. Weltkrieg vier Herrenhäuser: Roviskio, Parovejos, Gikoniu und Skrebiskio. Übrigens, der gegenwärtige Präsident Polens, Bronislaw Komorovski, stammt auch von hier ab: der Vater des Präsidenten war in einem Herrenhaus im neben Birzai liegenden Rokiskis-Gebiet geboren, wo seine Eltern aus alten Zeiten lebten; der Präsident wurde aber schon in Polen nach dem II. Weltkrieg geboren.
Zunächst einmal - ein Herrenhaus in Papilys, das von den Adligen Radvilos (Radziwillen) gegründet wurde. Sie hielten das Haus und das Land etwa im 16-17 Jahrhunderte, danach wurde das Herrenhaus von der die Familie Koscialkovskis gekauft und etwa im Jahr 1870 – von dem Franzosen Alexander Choiseul-Gouffier. Aus Radvilos Zeiten bleibt bis zum heutigen Tag nur noch einige Ruinen. Aber während des 19. Jahrhunderts blieben die Gebäude in relativ gutem Zustand. Gräfin de Shoiseul initiierte den Bau der örtlichen katholischen Kirche vor dem II. Weltkrieg, indem sie den Hauptaltar für die Kirche kaufte und so ist ihr Name auf den Altar zu sehen (man kann die Erinnerungstafel in Französisch darauf lesen).
Herrenhaus in Papilys in ganz ausreichendem Zustand. In der Sowjetzeit war hier eine Schule
Die obengenannten Koscialkovskis gründeten auch das nächste von uns besuchte Herrenhaus im Dorf Krastai, etwa 5 km von Papilys entfernt. Danach ging das Herrenhaus zu einem Herrn Grintelis (was in etwa Grünthal auf Deutsch heisst; es scheint, er war ein Deutscher aus dem damaligen Kurland). Man kann immer noch das hölzerne Haus, wo die Herren lebten sehen, auch gibt es eine Reihe von steinernen Wirtschaftsgebäuden auf dem Land des Gutsbesitzes. Sie sind langlebig – ich selber lebte mal in meiner Kindheit nebenan. Viele Dinge sind jetzt schon anders, nur die alten Bäume und die alten steinigen Gebäude bleiben dieselben für meine Augen... In der Sowjetzeit wurde der Herrenhauskomplex als Zentrum einer sowjetischen Sowchose (Landwirtschaftlicher Großbetrieb in Staatsbesitz) verwendet.
In dieser ehemaligen Schmiede verknüpft sich die Vergangenheit und Gegenwart Litauens sehr typisch: Basketballspiele an der Mauer aus dem 19. Jahrhundert :)
Die immer noch schön aussehenden Ruinen des wirtschaftlichen Gebäudes
Typisch deutsches Denken? Das Haus war nur aus Holz, nicht aus Stein wie die Wirtschaftsgebäude
Nach weiteren drei Kilometern stehen wir schon vor dem Skrebiskis Herrenhaus. Auch hier herrschten die Komorowskis. Leider steht zurzeit das ehemals sehr schöne Haus vernachlässigt und unbenutzt da. Die nebenliegenden Farmen werden von einem Kleinunternehmer für Geschäfte benutzt; der Unternehmer scheint aber ganz arrogant zu sein und will unsere Busse nicht über seinem Weg fahren lassen - er wahrt anscheinend die geschichtliche Kontinuität der Gutsbesitzer :-).
Ich erinnere mich noch an die Geschichten meiner Großmutter über das Leben im Herrenhaus vor dem Krieg (meine Oma lebte zwei Kilometer davon entfernt, und arbeitete manchmals dort als Schneiderin), über die liebe junge Gutsfrau Irena Kamarauskaite (die Variante ihres Familienamens, Komorowski, auf Litauisch). Das Gutshaus sollte einmal vom Grafen Zaborski aus Rokiskis Besuch bekommen. Da Zaborski mit seinem PKW anreiste, kam es zu einem großen Menschenauflauf, weil viele einfache Menschen das Auto sehen wollten.
Das ehemals schöne Herrenhaus enthält leider nur noch die Wände...
Das folgende Ziel – die Siedlung Roviskis nebenbei dem Dorf Kvetkai. Das vorige Herrenhaus gehörte den Komorowskis im 18. Jahrhundert, danach wechselte es mehrfach den Eigentümer. In einem der noch stehenden Gemäuer lebt die für ihr Alter sehr fitte Frau Leokadija. Sie erzählt uns eine lustige Geschichte über das Leben hier in alten Zeiten, über das Schicksal der Menschen die hier lebten, z.B. wie hier mal „Geguzines“ (etwa Volksfeste mit Tänzen in den Mai) veranstaltet wurden.
Das Herrenhaus in Roviskis aus Stein überlebte gute, aber auch schlechte Zeiten – vielleicht auch deshalb, weil es in einem abgelegenen Ort steht
Den nächsten Ort den wir besuchten – das Herrenhaus in Gikonys, ganz nahe an der Grenze zu Lettland. Leider blieben nur Fragmente von Nebengebäuden, die sind in sowjetzeitigen Scheunenwänden integriert und überlebten so. Ganz grausam und merkwürdig. Geblieben sind auch (wie an den anderen Stellen) Parks. Ihre Bäume und Alleen sind immer noch klar zu sehen. Frau Joana erzählt uns Ausflüglern eine typische Geschichte aus der Kriegszeit in Litauen: ihr Vater kaufte vor dem zweiten Weltkrieg dieses Haus von den Komarowskis, nachdem er in den USA das Geld dazu verdient hatte. Aber ihr Vater wollte nicht vor dem Krieg nach Amerika zurückziehen, so nahm er das Schicksal an, nach Sibirien fahren zu müssen, davon er leider nicht zurückkam... Die Leute die während der sowjetischen Periode in dem Herrenhaus lebten waren augensichtlich keine guten Wirte, denn durch ein Feuer brannte das Herrenhaus voll ab.
Halb sowjetische Scheune, halb Herrenhaus
Dann führte uns unsere Exkursion noch zu einer Kirche im nebenbeiliegenden Dorf Kvetkai. Die Kirche wurde im Jahr 1772 von dem damaligen Besitzer des (obengenannten) Roviskis Herrenhaus Pranciskus Komorowski gebaut (gegründet natürlich; die Leibeigenen arbeiteten am Bau :) ). Die Kirche ist hölzern, mit barocker Architektur. Der lokale Priester Virgilijus erzählt uns gern über die Kirche, ihre Geschichte und führt uns hinein. Dann folgte eine ausführliche Erzählung über die Inneneinrichtung.
Holzendes Barock aus 18. Jahrhundert immer noch steht stolz
Auch führt uns Virgilijus zu seiner zweiten Kirche wo er seine Dienste ausübt – nämlich die katholische Kirche in Papilys, und so endet unsere (ausgezeichnete) Reise gerade dort wo sie losgegangen war – im Dorf Papilys (oder eher schon in einem kleinen Städtchen mit sogar zwei Kirchen, katholisch und protestantisch).
Die Spitze des Turms der Kirche in Papilys wurde im II. Weltkrieg fast zerstört wegen dem dort sitzenden Aufklärers, danach wiedergebaut.
Von Gräfin de Shoiseul gestifteter Hauptaltar der Kirche
Der Weg selber: Asphalt von Birzai bis Papilys, und dann meistens lokale Schotterstraßen. Aber mit dem Durchgehen keine Probleme.
Entfernung: Rundreise von Papilys bis Papilys etwa 50 Kilometer.
Zeit: etwa 6 Stunden.
Zusammengestellt von Raimundas Binkis
Birzai.
Juli 2012.
Nemunelio Radviliskis - Medeikiai
Im Nordosten von Litauen, an der Grenze zu Lettland, etwa 10 km östlich von Skaistkalne (Schönberg), liegt Nemunelio Radviliskis an der Memele. Die Memele (litauisch Nemunelio) ist das Grenzflüsschen zu Lettland, nicht zu verwechseln mit der Memel (Nemunas), welches der Grenzfluss zu Kaliningrad ist.........
Es hat 700 Einwohner und wurde 1586 erstmals erwähnt.
Evangelische Kirche (E. Mazuika) Paradies für Kanuten (Vandensturizma)
Zum vergrößern der Fotos bitte draufklicken.
Einmündung des Apascia in den Nemunelis /Memele
Grenzstein Litauen - auf der anderen Seite ist Lettland
Oben mündet die Apascia ( aus Birzai ) in den Nemunelis. Der Nemunelis bildet für 76 km die natürliche Grenze zu Lettland. Bei Bauska fliesst er mit der Musa ( hier kann man auch sehr gut Angeln) zusammen. Er heißt dann Lielupe (Grossfluss) und mündet im Rigaischen Meerbusen.
Wer Lust auf Bootstouren auf der Memele hat, der findet hier weitere Informationen.
Foto: Sigute
Die Memele ( lettisch) oder Nemunelis ( litauisch) lädt uns Besucher zum Spazieren, Angeln oder Nachdenken über die Geschichte ein.
1854 ließ Graf Jonas Tiskeviciaus die Kirche zur Heiligen Mutter Gottes bauen ( Svc. Mergelis Marijos).
Leider war sie bei unserem Besuch geschlossen.
Die Evangelisch Reformierte Kirche steht direkt am Ufer des Nemunelio. Ein Bericht über Pfarrerin Sigita Svambariene ist hier
Deutlich sind die Einschusslöcher der Wehrmacht zu sehen.
In der Einleitung oben steht, dass die Memele uns einlädt über die Geschichte nachzudenken.
1941 war hier der Frontverlauf der zurückweichenden deutschen Armee, die im sogenannten Kurlandkessel feststeckte.
Die sowjetischen Truppen kamen von Estland, von Osten und von Süden (Stoss auf Memel) und nahmen die Deutschen in die Zange.
Die mussten sich aus Birzai nach Norden zurückziehen und hielten kurz die Stellung nördlich des Nemunelio, während die Rote Armee auf der südlichen Seite des Flusses stand.
In Nemunelio Radviliskis gibt es einen Soldatenfriedhof mit sowjetischen Gefallenen.
Russischer Soldatenfriedhof
Auf den Grabplatten stehen die Namen der russsischen Gefallenen. Auf der Tafel links stehen Namen ohne Rangbezeichnung.
Angeblich sind das sogenannte "Stribai", oder russisch "Istrebitel", litauische Freiwillige, die gegen die Partisanen (Waldbrüder) kämpfen sollten.
"Estrebitel" bedeutet Zerstörer. Den Sowjets war schnell klar, wie schwierig die Partisanenbekämpfung in den litauischen Waldgebieten ist. So bauten sie eine lokal rekrutierte Miliz auf. Die Beweggründe für diese litauischen Freiwilligen waren Freistellung von der Front oder Angriffe der Partisanen auf die Familien der Freiwilligen wegen deren pro kommunistischer Einstellung.
Die "Stribai" sind heute in Litauen nicht besonders angesehen. (Dazu mehr unter Kriegszeiten)
Auf dem Weg von Birzai nach Nemunelio Radviliskis kommt man durch das Dorf Medeikiai. Dort gibt es eine alte Mühle und einen
deutschen Soldatenfriedhof aus dem I. Weltkrieg.
In der Nähe der Mühle liegt der deutsche Soldatenfriedhof.
Deutscher Krieger Maslowsky, Jäger zu Pferd
Zu Zeiten des I. Weltkriegs gehörte Litauen noch zum zaristischen Russland (durch die Polnischen Teilungen).
Uzubaliai Biber Park - Torfabbau hat auch gute Seiten
Auf dem Weg von Birzai nach Salocia kommt man nach ca. 7km
am Uzubaliai Biber Park vorbei.
Folgt man dem beschilderten Weg nach links über Wiesen in den Wald, erreicht man ein Torfabbaugebiet aus den 1950 er Jahren.
Heute hat die Natur den kargen Torfboden wieder zurück erobert. Die Natur ist wild, der Wald und Sumpf von Bibern und Kröten bewohnt.
Hier gibt es eine der größten Biberpopulationen von Litauen .
Ich habe noch nie so viele Spuren von Bibern gesehen. Frösche und Kröten sieht man in Litauen ( noch) sehr viel.
Laut einer Liste vom Umweltministerium von 1999 gibt es in Litauen 31.750 Biber (480 Wölfe, 45 Wisente (siehe hier den Link nach Bialystok ).
Anfang des 20. Jahrhundert waren die Biber in Litauen fast ausgerottet. Um 1944 wanderten die ersten Biber aus Weissrussland nach Litauen ein. Mehr dazu hier
Die Spuren an den Bäumen lassen auf eine so grosse Menge Biber schliessen, dass mein spontaner Gedanke war, hier bloss nicht zu zelten.
Manche Fotos sind im April 2011 gemacht worden, da war gerade der Schnee weg und noch kein Grün zu sehen.
Die Wege sind teilweise mit Holzbohlen belegt, was das wandern ohne Gummistiefel erleichtert.
Hornissen gab es 2011 in Litauen viele. Zum ersten Mal habe ich drei Nester gesehen.
Am Ende des Weges hat die Parkbehörde einen Aussichtsturm mit Hinweistafel gebaut. Von oben kann man das Torfgebiet gut überblicken.
Sumpfgebiet
Achten Sie auf die Höhe der Nagestellen. Wie gross müssen die Biber sein!
Im Sommer 2011 sah es dann schon viel grüner aus. Allerdings waren die Spuren der Biber nicht mehr so deutlich zu sehen.
Zugang über ein Feld von der Strasse aus
Wasserläufe und Aussichtsturm
Zum betrachten der Fotos bitte anklicken!
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Karves Ola - Das Loch in dem die Kuh verschwand
Birzai liegt in einem Gebiet, in dem es große unterirdische Gipsvorkommen gibt. Leider wird dieser Gips mit der Zeit vom Wasser weggespült und der Boden gibt nach. Karves Ola, auf deutsch : Kuh Loch, liegt zwischen Pabirze und Birzai und ist ausgeschildert. Der Legende nach, wurde die Karve Ola von einem Bauern entdeckt, nachdem seine Kuh verschwunden war.
In der 20 Meter tiefen Senke soll ein Tunnel zu einer Höhle und einem See führen. Wir haben nur den kleinen Tunnel der Fledermäuse sehen können.
Hier im Blog von Giedriaus Steiblio sieht man einige lebensmüde Litauer, die sich in die Ievos duobe zwängen (eine andere Karstgrube). es lohnt sich alle 42 Bilder anzuschauen, Steiblio und seine Freunde haben die Karstlöcher aus der Luft fotografiert, und man bekommt eine Ahnung, welche Dimensionen diese Erdabsenkungen haben.
Etwa 9000 Erdlöcher wurden im Birzaier Regionalpark gezählt, von großen wie dem heutige Kirkilai See, und ganz kleinen, die erst im Entstehen sind. Jährlich kommen neue dazu. Ein Bericht dazu auf englisch der Baltic Times.
Im linken Bild ist das Einflugloch der Fledermäuse zu sehen. Die Elterntiere brachten Nahrung und die Jungen waren laut am piepen.
Rechts: Die Kröten brauchen in 20 m Tiefe den Storch nicht zu fürchten.
So sieht es unter der Karve Ola aus.
Bisher bekamen die betroffenen Hausbesitzer eine Kompensation vom litauischen Staat.
Bei diesem Schaden sieht man gut die Isolierung hinter der ersten Mauerwand. Die Aussenwände sind doppelt gemauert. Dazwischen ist meist eine Schüttung aus Tannennadeln.
Geologu Duobe - Geologisches Karstloch
Karstloch im entstehen. Hier gibt der Boden langsam nach.
Ziege, Pferd und Kuh. Das typische Bild der bäuerlichen Landwirtschaft seit ich Litauen kenne.
Die Landwirtschaft passt sich aber den westeuropäischen Maßstäben an und wird intensiviert.
SKAISTKALNE SCHÖNBERG
Skaistkalne, oder Schönberg, wie es auf Deutsch heißt, ist eine kleine Grenzstadt in Lettland.
Von Litauen (Birzai) aus Richtung Riga kommend, überquert man die Grenzbrücke über den Nemunelis, lettisch Memele (weiter östlich liegt Nemunelio Radviliskis) und fährt direkt auf die St. Maria Himmelfahrt Kirche zu. Die Memele nicht verwechseln mit der Memel. Während die Memel an der breitesten Stelle bis zu 500 Meter misst, ist die Memele ein beschauliches Flüßchen. Fotos bei Wasserhochstand sieht man unten, Fotos aus dem Sommer mit niedrigem Wasserstand bei den Infos über Kanutouren.
Skaistkalne liegt im südlichen Kurland, lettisch Kurzeme.
In Schönberg ist eine alte Wassermühle die dringend Aufmerksamkeit braucht.
Sie lockt jedes Jahr viele Touristen in die Grenzstadt zu Litauen.
Schönberg hat etwa 1500 Einwohner und ist durch seine Zugehörigkeit zum Kurland architektonisch stark deutsch beeinflusst.
Mehrere Gebäude, wie das Herrenhaus ( heute eine Schule), die Wassermühle oder andere Gebäude stammen aus der Zeit des Kurlands.
Hier eine Broschüre des Tourismusbüros von Bauska.
Ein kleines Museum zeigt ein Sammelsurium von Sachen aus der Gegend.
Chefin des Museums ist Laima Indrike
Sie spricht Lettisch, Litauisch, Russisch und ein bischen Englisch.
Etwa 40 km von Skaistkalne entfernt liegt Bauska mit seiner schönen Ordensburg der Deutschritter. Nahe Bauska kann man das
Barockschloss Rundales Pils besichtigen.
Ein Kontrast zur heutigen Beschaulichkeit all dieser Orte, ist der verbissene Kampf der Wehrmacht 1944 im Kurlandkessel. Viele Kriegsspuren sind heute noch zu sehen.
Die St. Maria Himmelfahrt Kirche in Skaistkalne ist die zweitbedeutendste Wallfahrtskirche in ganz Lettland.
Die Kirche erhebt sich imposant auf einem Hügel direkt über dem Nemunelis und überragt das ganze Städtchen.
Die Kirche wurde Mitte des 18. Jahrhunderts vollendet.
Grabplatte von Marquise Wilhelmina Franziska Paulucci (gest.1824), geb. Gräfin von Kosküll
Die Inneneinrichtung ist Barock, erwähnenswert sind die Holzschnitzereien am Altar , die Kanzel und der Orgelaufsatz.
Bis zum 20. Jahrhundert hieß Skaistkalne "Schönberg", zu Ehren des Gründers dieses Städtchens , Heinrich Schönberg.
Eine Legende über die Erbauung der St. Maria Himmelfahrt Kirche lautet, dass 1640 der polnische Oberst Johann Von Berg-Karmela Schönberg einnahm, daraufhin aber erblindete.
Durch die Hilfe von Gebeten konnte er wieder sehen, und beschloss aus Dank, eine Kirche in Skaistkalne zu erbauen.
Auf einer Jagd warf ihn sein Pferd auf einem Hügel ab. Dies wurde als Zeichen für den Standort gewertet und sein Sohn Vladislav führte den Willen seines Vaters aus. Eine kleine Eichenkirche wurde 1666 etwa 300 Meter von der heutigen Steinkirche entfernt erbaut.
Um den lettischen Katholizismus gegen die Protestanten zu schützen, beschloss man, eine die Letten einende Kirche ins Niemandsland zu bauen, zu dem Gläubige kommen und still ihr Gebet verrichten konnten.
Das Herrenhaus des Gutshofes von Skaistkalne liegt am Grenzfluß Nemuneles / Memele.
Es wurde 1901 nach dem Entwurf des Architekten M. Berci aus Liepaja im
"Rote Ziegel Stil" gebaut.
Im Salon ist der prächtige Kamin und die Deckenmalereien erwähnenswert.
Deutlich sind die Einschüsse erkennbar. Der Frontverlauf verlief eine Zeitlang am Nemunelis, die Rote Armee lag auf der anderen Seite des Flüßchens.
Elisa von der Recke wohnte in Schönberg Blick auf den Nemunelis
E. von der Recke wurde berühmt, als sie eine schonungslose Abrechnung über den italienische Hochstapler und Alchimisten Cagliostro schrieb, der ihr (und allen anderen hübschen/reichen Frauen), Avancen machte.
Ein Scan dieses Buches gibts hier bei Google.
Wassermühle Grenzbrücke, links ist Litauen
Bach durch Schönberg Altes Haus
1902 Teil der Wassermühle
Leider ist die alte Wassermühle in einem schlechten Zustand. Wird diese Art der Energiegewinnung nicht heute von der EU gefördert?
Das Gebälk im Inneren sieht noch gut aus. Neben der Mühle alte Wohnhäuser